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Pressemitteilung

Das Schicksal eines schwarzen Vogels als Botschafter dunkler Praktiken

Es ist ein kleiner Skandal, was weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit vor sich geht. Ein Abgeordneter stellt eine Anfrage an die Landesregierung, weil er einer ministerialen Darstellung misstraut – und erhält eine Antwort voll falscher Zahlen und verkehrter Darstellungen. So geschehen am 11. Januar 2006 im Landtag Schleswig-Holsteins. Ein heute fast schon verjährtes Vorkommnis? Nein, ein andauerndes, ein hochaktuelles Problem.

Haben wir uns bereits daran gewöhnt, dass Politik sich an Lobbyinteressen anstatt an Aufrichtigkeit und der bestmöglichen Handlungsalternative orientiert? Anders ist nicht zu erklären, warum die gutachterliche Stellungnahme des NaBu Schleswig-Holstein zu den verzerrten bis schlicht falschen Darstellungen des Ministeriums für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume zu dem Ausmaß fischereiwirtschaftlicher Schäden durch den Kormoran kaum Echo in Medien und Gesellschaftsbewusstsein findet.

Dabei handelt es sich klar um einen Kniefall vor der fischereiwirtschaftlichen Lobby, wenn dem schwarzen Vogel, nicht erst seit 2006 Sündenbock für Verfehlungen der Umweltpolitik, geradezu atemberaubend unrealistische Mengen von Schadfraß unterstellt werden und er damit fälschlicherweise zum Hauptverantwortlichen für zurückgehende Fischbestände gemacht wird. Die vergangenen und gegenwärtigen Eingriffe in die natürlichen Ökosysteme, die massive Rückgänge v.a. vieler geschützter Fischarten bewirkten und bewirken (und das schon zu Zeiten, da die Kormoranpopulationen dem Verlöschen nahe waren), werden dabei vollkommen ignoriert. Bis über das Doppelte (beim Aal sogar über das Dreifache) werde die tatsächlich vertilgten Menge an Fisch überschätzt – hätte man sich an den fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert, die Experten zur Nahrungsaufnahme des Kormorans erhoben haben, hätte man diese Fehlkalkulation leicht vermeiden können.

Doch damit nicht genug: auch die Gewinnspannen der Fischer werden geradezu maßlos überschätzt, so wird sich z.B. durchgehend an den maximal zu erzielenden Gewinnen orientiert, anstatt realistisch – oder als Gegenentwurf auch mit den minimal möglichen Gewinnen zu kalkulieren. So entsteht, zusammen mit einer Vielzahl anderer Analysemängel, insgesamt ein Bild über den wirtschaftlichen Schaden durch den Kormoran, das mit der Realität ebenso wenig zu tun haben will, wie der Fischer mit dem Kormoran.

In seiner Analyse weist der NaBu auf einen weiteren (von der Politik wohlweißlich) vernachlässigten Aspekt hin: den Nutzen durch den Kormoran! Was sich vorurteilstreue Fischereilobbyisten und von ihnen eingelullte Politiker nicht vorzustellen vermögen, offenbaren ganzheitliche wissenschaftliche Herangehensweisen deutlich: Nicht nur als Nahrung für den seltenen Seeadler, als Glied der natürlichen Nahrungskette und bei Verringerung der Gewässereutrophierung macht sich der Kormoran um die Stimmigkeit des Ökosystems Süßwasser verdient. Auch für die Fischereiwirtschaft selbst und für die Erholungssuchenden ist er natürlicher tatkräftiger Helfer: Dadurch, dass der Kormoran bevorzugt Weißfisch (also von der Fischereiwirtschaft ohnehin nicht genutzte Arten) frisst, der seinerseits über den Verzehr von Zooplankton erstens Nahrungskonkurrent für fischereiwirtschaftlich interessante Arten darstellt, kann er den Ertrag an zu vermarktendem Fisch sogar erhöhen. Frisst der Kormoran zweitens die Fressfeinde der Wasserflöhe und anderer Zooplankter weg, befördert er also deren Zahl, trägt er indirekt zur Gewässerklarheit bei: Wasserflöhe & Co vertilgen dann nämlich umso mehr Kleinalgen, die so manches Wassersport- und Badevergnügen in einer fast schon zähen grünen Brühe verleiden können.

 

Doch wie einleitend gesagt: es geht nicht nur darum, einen unschuldig Verleumdeten zu rehabilitieren. Es geht um Glaubwürdigkeit. Was den Kormoran betrifft, hat die tatkräftige Arbeit des NaBu inform einer gutachterlichen Stellungnahme zur Klärung des Sachverhalts beigetragen. Doch wie viele Entscheidungen gehen über die Tische der etablierten Politik, ohne dass einzelne Mutige sie hinterfragen, weil sie Manipulation wittern? An wie vielen Zahlen wird gedreht, wie viele Tatsachen bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, weil sie einflussreichen Lobbyisten so besser gefallen?

Wir können nur das Schlimmste befürchten.

 

Zum Hintergrundartikel des NaBu .

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